Der kommissarische preußische Innenminister Hermann Göring vor der Polizeikaserne am Welfenplatz in Hannover 1933, rechts hinter ihm Oberpräsident Lutze, ganz rechts Polizeimajor Kuse. (1)
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Schutz-Polizei – „Rücksichtsloser Gebrauch der Schusswaffe“
Die Polizei war die wichtigste Waffe der Nationalsozialisten, um den Widerstand von Parteien, Gewerkschaften, Vereinen usw. niederzuschlagen. Chef der Polizei in Preußen - und damit auch in
Hannover - war ab 30. Januar 1933 der nationalsozialistische preußische Innenminister ->Hermann Göring.
Um den politischen Einfluss auf die bisher neutrale Polizei zu stärken, gliederte Göring am 11. Februar 1933 die Parteiorganisationen SA und SS als Hilfspolizei in die preußische Polizei. Er
befahl Massenverhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten. Dabei ermunterte er die Polizei zum rücksichtslosen Gebrauch von Gewalt: „… ist sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu
machen. Polizeibeamte, die in Ausübung dieses Befehls handeln, werde ich decken…“ (2)
Aus der Polizei, der Schutzmacht der Demokratie, wurde ein Instrument zur Durchsetzung der Diktatur.
Vier Tage später verlor Hannovers Polizeipräsident Erwin Barth (SPD) seinen Posten. Ihn löste SA-Führer ->Viktor Lutze ab, der das Amt am 28. März 1933 an ->Johann Habben weitergab. Der bis 1. April parteilose Leiter der Polizei Habben wurde deshalb Polizeipräsident in Hannover, weil er vor 1933 heimlich der NSDAP zugearbeitet und die SS immer wieder vor Polizeiaktionen gewarnt hatte. (4)
Hatte heimlich die SS vor Polizeiaktionen gewarnt: Polizeipräsident ab 1.4. 1933: Johann Habben (5)
Schutzpolizist und SS-Mann gemeinsam auf Streife.(3)
Victor Lutze nimmt eine Polizeiparade auf dem Waterlooplatz ab. (6)
Gestapo: lückenloses Spitzel-System
Politisch Verdächtige überwachen, Wohnungen durchsuchen, Menschen verhaften und ohne richterlichen Beschluss in „Schutzhaft“ nehmen – das war ab 10. Mai 1933 Aufgabe der „Geheimen Staatspolizei
(Gestapo). „Schutzhaft“ bedeutete: Staat und Gesellschaft vor den Verhafteten zu schützen. Im Polizeipräsidium Hardenbergstrasse bestand die Gestapo aus 28 Polizisten der bisherigen
politischen Polizei und 7 arbeitslosen SA-Männern, die erst 1933 in die NSDAP eingetreten waren. Alle Orts- und Kreispolizeistellen mussten ihnen zuarbeiten. (7)
Polizeipräsidium Hannover in der Hardenbergstrasse, Sitz der Gestapo 1933 (8)
Polizeigefängnis Hardenbergstrasse. (9)
Zelle des Polizeigefängnisses in der Hardenbergstrasse (10)
Bei größeren Einsätzen der Geheimen Staatspolizei in Hannover wurde auf SA-Männer als Hilfspolizisten zurückgegriffen: teilweise kamen auf 30 Gestapo-Beamte 100 SA-Mitglieder.
Ende 1933 übernahm Dr. Werner Voß die Leitung der Gestapo. In enger Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst (N.D.) der Gaupropaganda-Leitung baute Voß baute ein eigenes lückenloses Spitzel- und Zuträger-System auf. (11)
Ein Konzentrationslager für Hannover
Bald reichte das Untersuchungsgefängnis in der Hardenbergstrasse für die vielen verhafteten KPD- und SPD-Mitglieder nicht aus. Weil die SA zusätzlich „wilde Lager“ betrieb, fiel die Wahl für ein
dringend benötigtes Sammellager auf eine geschlossene Arbeitserziehungsanstalt in Moringen bei Göttingen.
Luftaufnahme KZ-Moringen. (13)
Häftlinge im KZ Moringen beim Hofgang. (14)
Am 11.4.1933 übernahm die Hannoversche Polizei im neuen KZ Moringen – dem ersten KZ für Hannover - 113 Häftlinge, überwiegend KPD-Mitglieder aus Hannover und Umgebung. Das Polizeipräsidium Hannover stellte einen Polizeioffizier, 20 Wacht-meister, 3 Diensthunde, 30 Hilfspolizeibeamte aus SA und SS kamen aus Hildesheim. (12)
Polizei und SA: Wachmannschaft des KZ Moringen aus Hannover, April 1933. (15)
Am 26.7. ersetzte die 12. SS-Standarte unter SS-Obersturmbannführer Egon Cordes die Polizei, ab 1.9.1933 mit SS-Hauptsturmführer Flohr als Lagerleiter. Die SS verprügelte die Häftlinge grausam und folterte sie in einem „Freudenzimmer“. (16) (17)
Ab Oktober 1933 benutzte die SS Moringen als das erste staatliche Konzentrationslager für Frauen. Die größten Häftlingsgruppen waren Zeugen Jehovas (siehe unten) und aktive Kommunistinnen
sowie der „Rassenschande“ bezichtigte Frauen, die als „Arierinnen“ verbotenen sexuellen Kontakt mit „jüdischen“ Männern gehabt haben sollten.(18)
Die Hälfte der Studenten nationalsozialistisch - Professor Lessing ermordet
1932/33 organisierten sich nur 3,7 % der Studenten der Technischen Hochschule Hannover als Mitglied im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB). Im Laufe des Jahres 1933 steigerte
sich die Zahl auf fast die Hälfte aller Studenten. Alle erfüllte die Sehnsucht nach einem „Dritten Reich“. Die nationalsozialistische Umbruch- und Aufbruchsbewegung würde die „Schmach“ des
Versailler Vertrages tilgen, glaubten sie.
Vor allem würde die „Bewegung“ alles „Undeutsche“ ablehnen – womit Menschen jüdischen Glaubens gemeint waren.
90 % der Mitglieder im NSDStB der Technischen Hochschule gehörten ab 1933 zur SA, zusammengefasst im Sturmbann IV/412 mit 6 Stürmen. (19)
Kundgebung gegen den Friedensvertrag von Versailles am Eingang der Technischen Hochschule in Hannover 1933. (20)
Gegen den kritischen jüdischen Philosophen ->Theodor Lessing bildete sich ein Kampfausschuss, der zum Vorlesungsboykott aufrief. Lessing wurde im Mai 1926 von mit Knüppeln bewaffneten völkischen Studenten durch die Straßen Hannovers gejagt und konnte mit knapper Not in ein Café im Georgengarten flüchten. Die Polizei war anwesend, griff aber nicht ein. (21)
Der „unbequeme“ hannoversche Professor Theodor Lessing, von den Nazis gehasst , gejagt und ermordet.(24)
Professor Lessing, rechts im Bild, mußte am 3. Mai 1926 vor Studenten in ein Cafe im Georgengarten flüchten. Links vor ihm teils mit Stangen bewaffnete Studenten. (41)
Die Hochschulleitung beugte sich dem Druck der Studenten und entzog im Mai 1933 Lessing die Lehrbefugnis. Lessing floh in die Tschechoslowakei. Weil das Gerücht umging, man habe eine hohe Belohnung für seinen Tod ausgesetzt, wurde Professor Theodor Lessing im August 1933 von sudetendeutschen Nazis in seiner Wohnung in Marienbad ermordet. Die Täter entkamen und erhielten in Deutschland neue Identitäten. (22)
Antisemitische Drohbriefe erreichten den Geächteten (23)
Juden in Hannover - entlassen und überfallen
Anfang 1933 glaubten viele der 5000 hannoverschen Menschen jüdischen Glaubens, der Antisemitismus der Nazis würde nach der „Machtergreifung“ zurückgehen. Zunächst waren nur einzelne von ihnen im
Deutschen Reich angegriffen oder überfallen worden. Europäische und amerikanische Zeitungen berichteten bald ausführlich. Diese internationalen wahrheitsgemäßen Berichte wurden zum Anlass für
wilde Aktionen der Nationalsozialisten überall im Reich.
Jede Ortsgruppe der NSDAP bekam die Anweisung, Aktionskommandos zum Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen in Bewegung zu setzen.
Judenhass: Zeitungskästen mit dem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ in Gleidingen bei Laatzen. (24)
Am 1. April 1933 standen in der Innenstadt SA-Posten vor jüdischen Geschäften, Betrieben und Büros und forderten „Kauft nicht bei Juden“. Das große Kaufhaus Karstadt in der Georgstraße reagierte prompt, entließ alle jüdischen Angestellten und
brachte Textschilder vor den Eingängen an: „Hier werden Sie nur von rein arischem Personal bedient.“ Ende Mai 1933 stachelten SA und SS auf zu antijüdischen Krawallen in der Innenstadt mit Stinkbomben und zerstörten Fensterscheiben.
Judenboykott 1. April 1933 (25)
Jüdische Beamte in den Verwaltungen wurden entlassen. Kinder verloren ihre Freunde und Spielkameraden. Viele jüdische Hannoveraner verließen Deutschland, gingen in westeuropäische Länder und nach
Palästina. (26) (27)
Plakat mit Boykott-Aufruf der Nazis auf dem Schaufenster des jüdischen Hut-Geschäftes Ernestine Walasker, Hannover, Am Markt 1. (28)
Zeugen Jehovas – jeder Zweite verhaftet, jeder Vierte umgebracht
Hitler hasste die Zeugen Jehovas (auch ->Ernste
Bibelforscher) als „Wegbereiter des jüdischen Bolschewismus“. Die Wirklichkeit war anders: Die Zeugen Jehovas und die Bibelforscher verweigerten den Kriegsdienst, den Hitler-Gruß und
missionierten im Untergrund. Die Staatspolizeistelle in Hannover berichtete 1934: „... sie gehen von Haus zu Haus und versuchen die Hausfrauen zu belehren, die Obrigkeit bezeichnen sie als
Satanswerk, das Ende der Welt sei nahe…“ Die
Nazis verboten die Zeugen Jehovas und die Ernsten Bibelforscher im Frühjahr 1933. (29)
Reichsweit wurden von den 1933 in Deutschland lebenden ca. 20.000 Zeugen Jehovas/Ernsten Bibelforschern fast 10.000 zeitweise verhaftet, 4.000 bis 5.000 starben in Gefängnissen und
Konzentrationslagern. (30)
Der Wachturm – hier eine Ausgabe von 1933 – ist die religiöse Zeitschrift der Zeugen Jehovas und heute mit ca. 90 Millionen Exemplaren die
auflagenstärkste Zeitschrift der Welt. Während der NS-Zeit und in der DDR verboten. (31)
Adam Sewening wurde als Zeuge Jehovas von der Gestapo im Polizeipräsidium Hardenbergstrasse schwer gefoltert, später in der Nervenklinik Langenhagen für "geistesgestört" erklärt und in der "Aktion T4" (Tötung von geistig Kranken) 1942 in Erbach ermordet. (32)
->Freimaurer - Gewalt und Verfolgung
Der Gegensatz zum Weltbild der Nationalsozialisten konnte nicht größer sein: anders als die Nazis strebten die Freimaurer - ein jahrhundertealter Männer-Bund – nach Freiheit, Frieden und
Selbsterkenntnis. Sie forderten Nächstenliebe, bekämpften Vorurteile und wollten Gerechtigkeit. (33)
Die Nazis verdächtigten die Freimauer mit der absurden Behauptung, heimlich dem „internationalen Judentum“ die Basis für die Unterdrückung Deutschlands zu bieten. (34)
Im Gebäude Herrenstraße 9 trafen sich drei hannoversche jahrhundertealte Freimauerer-Logen. (36)
Um ein drohendes Verbot nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 hinauszuschieben, folgten die Freimaurer der staatlichen Aufforderung, ihre Rituale von alttestamentarischen Inhalten zu bereinigen. Dennoch wurden sie angefeindet, von der SA terrorisiert und öffentlich diffamiert („Freimaurer Schuld am 2. Weltkrieg“). Viele verhaftete die Gestapo. (35)
Die älteste hannoversche „Loge“ („Bau-Hütte“ = Sinnbild für Versammlungsraum) wurde 1746 gegründet und besteht heute unter dem Namen »Friedrich zum weißen Pferde«. Die zweite Gründung fand
1774 statt (»Zum schwarzen Bären«), die »Ceder« folgte am 20. September 1777 nach. Diese drei althannoverschen Logen lebten seit 1857 in einem gemeinsamen Hause in der Herrenstraße 9, das von den
Nationalsozialisten enteignet und zu einem abschreckenden »Freimaurermuseum« missbraucht wurde.
Bis 1935 löste die Gestapo nach und nach alle Logen auf. Berufsverbote, Hausdurchsuchungen, Inhaftierungen in Konzentrationslager und Selbst-morde waren die Folge. (38) (39)
Homosexuelle – von Hitler als „entartet“ gehasst
Die Gegend um das Café Kröpcke galt Anfang der 20er Jahre als ein „Zentrum der Sittenlosigkeit“. Hier trafen sich männliche Prostituierte – von denen 500 bei der Polizei eingeschrieben waren.
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Der berüchtigte Paragraph 175 des Strafgesetzbuches verbot gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Männern.
Die Nazis verschärften die Verfolgung mit der Begründung: Homosexualität unter Männern sei eine „widernatürliche Veranlagung“, die den sogenannten „Volkskörper“ wie eine „Seuche“ schädige
und die „auszurotten“ sei. Hitler hasste Homosexuelle, weil er sie für „entartet“ hielt. Homosexuelle wurden verhaftet, zu Gefängnisstrafen verurteilt, in psychia-trische Kliniken
eingewiesen oder in Konzentrations-lager verschleppt – was großes Leiden und häufig den Tod bedeutete.
Gekennzeichnet mit einem rosa Winkel auf der Kleidung: Über 10.000 homosexuelle Häftlinge wurden in Konzentrations-lagern wie Buchenwald und Sachsenhausen ermordet.
Auf einen Blick:
Polizei schießt auf politische Gegner.
Gestapo schickt Spitzel.
KZ für Hannover.
Studenten verfolgen Professor.
Boykott jüdischer Geschäfte.
Verfolgung Zeugen Jehovas, Freimaurer, Homosexuelle.