Die „Nationalsozialistische Betriebsorganisation“ der Günther Wagner, Pelikan-Werke, zeigt dem Betriebsführer Fritz Beindorff den Hitler-Gruß. (1)
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„… am schlimmsten sind die Kleinen, die Blockwarte…“
Nicht nur Polizei und Gestapo überwachten die Bevölkerung, viel stärker konnte sich das NS-Regime auf Berichte der Betriebs-Obleute der DAF (Deutsche Arbeitsfront), auf
Funktionäre der NSF (NS-Frauenschaft) und der RAD (Reichsarbeitsdienst) stützen.
Die wichtigsten Berichte über die Stimmung in der Bevölkerung lieferten die Ortsgruppenleiter mit ihren Zellen- und Blockwarten. Sie verhinderten allein durch ihre Anwesenheit regimekritische
„Meckereien“ im Treppenhaus, in der Nachbarschaft und in Gaststätten. Meldungen der Blockwarte und freiwillige Meldungen aus der Bevölkerung führten häufig zu Schutzhaft, Folter und Einweisung in
Arbeits- oder Konzentrationslager. (2)
Ortsgruppe Birkenstraße auf dem Marsch. (3)
Sitz der Ortsgruppe Birkenstraße mit Niederlassung der NS-Wohlfahrt in der Lutherstraße 49. (4)
Sitz der ehemaligen Ortsgruppe Wilhelm-Gustloff-Platz, Jakobistraße 43, heute Nr. 9.
Am Haus Jakobistraße 9 sind noch die Halterungen für die Hakenkreuzfahnen zu sehen.
In den Jahren 1933/34 stieg die Zahl der Parteimitglieder von 850.000 auf 2,7 Millionen. Die Ortsgruppen konnten den Mitgliederzuwachs kaum bewältigen. Mitgliederlisten wie diese in Hannover wurden per Hand geschrieben.
Mitgliederliste der Sektion Bismarck. (5)
59 Ortsgruppenleiter im Hannover der vierziger Jahre lenkten jeweils ca. 1000 „Parteigenossen“ und kontrollierten jeweils ca. 3000 Haushalte. Ihnen arbeiteten Zellenleiter zu. Eine Zelle bestand aus 4 – 8 Blocks und mindestens 11 Parteimitgliedern. Die wichtigste Rolle nahmen die Blockwarte ein. Ihre Aufgaben: politische Beeinflussung der Bevölkerung, Werben neuer Mitglieder, Sammeln von Mitgliedsbeiträgen, später Verteilung von Lebensmittelmarken. Blockleiter sollten über alles, was in ihren Blocks mit ca. 40 - 60 Haushalten vor sich ging, Bescheid wissen und den Ortsgruppenleiter informieren. Im gesamten Deutschen Reich gab es ca. 20.000 Ortsgruppenleiter, 55.000 Zellenleiter, 200.000 Blockleiter. (6)
Bericht Blockleiter in Ricklingen, Zelle 11. (7)
Zur Überwachung wurde eine Haushaltskartei geführt mit Daten von allen in den Blocks lebenden Personen: Beruf, Alter, Parteizugehörigkeit, Einstellung zum NS-Regime, Juden im Haushalt. Zeitzeugen berichten: „Die da oben sind nicht so schlimm, am schlimmsten sind die Kleinen, die Blockwarte, die konnten einen triezen und bedrohen wegen Äußerungen. Da musste man vorsichtig sein.“ (8)
Bewohner der Zelle 11, Hakenkreuzplatz in Ricklingen. (9)
Zellenleiter Zelle 14. Schulung und Beaufsichtigung der Blockleiter, der Zellen- und Blockleiter der NSV, der DAF, der NS- Frauenschaft. (10)
Ortsgruppe Ricklingen, Plan Zelle 14: Hakenkreuzplatz (heute Friedrich-Ebert-Platz), Ypernstraße (heute Bebelstraße), Straßburger Straße (heute Konrad-Hänisch-Straße), Lüttichstraße (heute Heinrich-Meister-Alle) (11). Straßenplan heute.(12)
Markenbuch der Zelle 14 (13)
Markenbuch der Zelle 14, Blatt Block 60 (14)
Nächtliche Streifen suchten nach Widerstand
1933 kontrollierten Streifen aus 3 Personen der Ortsgruppen in Zivil ohne Abzeichen die Straßen und Plätze, um nächtliche Flugblatt- oder Plakataktionen der verbotenen KPD und SPD, aber auch die
Stimmung der Besucher in Gastwirtschaften zu melden. Im Streifenbuch wurde jede Tour genau festgehalten.
DAF und KdF. Die Menschen immer im Blick der Partei.
1933 war in Hannover fast jeder Dritte arbeitslos.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit stand bei den Nazis an erster Stelle: sie wollten auch in der ablehnenden Arbeiterschaft Zustimmung bekommen. Zum Beispiel wählten die Arbeiter der
Continental-Werke in Hannover bei den Betriebsratswahlen April 1933 zu 75,2 % freie Gewerkschaften. Die Angestellten dagegen entschieden sich mit 50,3 % für die NSBO
(Nationalsozialistische Betriebsorganisation).
Kundgebung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) am Klagesmarkt. (16)
Wenige Tage nach der Zerschlagung der Gewerkschaften wurde eine neue Organisation gegründet, um Arbeiter und Angestellte in einer neuen „Volksgemeinschaft“ unter Kontrolle zu halten - die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Ihr gehörten zwangsweise Arbeitnehmer und Arbeitgeber an. Der Parteifunktionär Dr. Robert Ley übernahm am 10. Mai 1933 die Führung der DAF.
Wichtigste Aufgabe der DAF: Die „Gefolgschaft“ (Arbeiter und Angestellte) ständig zu beschäftigen und abzulenken, um sie von Unruhen, Streiks und Lohnforderungen abzuhalten. Die „Betriebsführer“
(Arbeitgeber) entschieden über Arbeitszeit, Entlohnung, Entlassung und Einstellung. Die „Vertrauensräte“ (Betriebsräte) wurden vom Betriebsführer ausgewählt. (17)
Tarifverträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gab es ab 19. April 1933 nicht mehr. (18)
Übergabe der DAF-Fahne an den Betriebs-Obmann Jahnke der Continental. Der Betriebs-Obmann führte die Belegschaft, die abteilungsweise von
Betriebszellen-Obmännern und Betriebsblock-Obmännern überwacht wurde. (19)
NS-Überwachung am Arbeitsplatz. Die „Gefolgschaft“ musste an regelmäßigen weltanschaulichen Schulungen der NSBO teilnehmen. (20)
Durch Verhaftung, Verfolgung und Einschüchterung wurden die SPD-Betriebsräte aus ihren Ämtern verdrängt. Ab April 1934 standen nur noch Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront auf der NSBO Einheitsliste. Das Ziel war erreicht: Jetzt wählten bei der Conti 86,7 % der Wahlberechtigten die Kandidaten der NSBO. (21)
„Kraft durch Freude“ (KdF) – Überwachung der Freizeit
Die DAF ermöglichte es dem NS-Regime, bis zu 22 Millionen Menschen im Beruf zu überwachen. Das genügte den Machthabern nicht. Im November 1933 dehnten sie die Gesinnungskontrolle auch auf die
Freizeit aus - mit Angeboten, mit denen das NS-Regime die Volksgenossen gewinnen wollte.
DAF-Kameradschaftstreffen der Gefolgschaft Günther Wagner, Pelikan-Werke, in der städtischen Ausstellungshalle Hannover. 4. Juli 1936. (22)
Die DAF versuchte, letzte Zweifler am NS-System mit erschwinglichen KdF-Reisen für Arbeiter und Angestellte zu begeistern. (23)
Die ultimative Verlockung der DAF: der für alle erschwingliche „KdF-Wagen“ (Volkswagen) für 900 Mark – den es während der Nazi-Zeit nie zu kaufen gab. (24)
NS-Frauenschaft – „…dem Führer viele Kinder schenken“
In der Weimarer Republik zuvor war die Gleichberechtigung der Frauen weit fortgeschritten. Der Nationalsozialismus wies Frauen und Mädchen wieder in eine untergeordnete Rolle zu. Männer sollten
sich um die „große Welt“ der Politik und des Geldverdienens, die Frauen um die „kleine Welt“ von Haushalt und Familie kümmern und „dem Führer viele Kinder schenken“. Frauen mit 4 Kindern bekamen
das bronzene Mutterkreuz, mit 8 Kindern das goldene Mutterkreuz. (25)
Weihnachtsfeier der NS-Frauenschaft im Lister Turm 1935. (26)
So diente die NS-Frauenschaft nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 mit ihren nationalsozialistisch überzeugten Anhängerinnen auch der Überwachung und politischen Gleichschaltung aller anderen nicht-nationalsozialistischen Frauengruppierungen.
Weltanschauliche und politische Schulung der Frauenschaftsleiterinnen 1934.(29)
Johanne Conradi, Leiterin Kreis Hannover Stadt der NS-Frauenschaft. 1934. (27)
Ihr Ziel sah die NSF darin, die deutsche Frau auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter vorzubereiten – durch Schulung in Haushalts- und Gesundheitsführung sowie in Erziehungsfragen. (28)
RAD. Vom braunen in den grauen Rock
Adolf Hitler, gerade zum Reichskanzler ernannt, verkündete am 1. Februar 1933 in seiner ersten Rundfunkansprache, die Arbeitsdienstpflicht sei ein „Grundpfeiler“ seines Regierungsprogramms. Der
halbjährige Reichsarbeitsdienst (RAD) sollte die deutsche Jugend im Alter von 18 bis 25 Jahren im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft erziehen, sie dabei überwachen und
kritische Einstellungen verhindern. Gleichzeitig konnte man so die Zahl der Arbeitslosen senken und die Aufrüstung voranbringen. Die deutsche Jugend sollte "kriegsfähig" gemacht
werden.
Reichsarbeitsdienst: Den Spaten geschultert wie ein Gewehr. (30)
Bereits am 1.6. 1933 gab es 146 Arbeitsdienstlager im Arbeitsgau 18, Niedersachsen Ost – mit einer Organisation, die der Wehrmacht entsprach, mit militärischen Uniformen und dem geschulterten Spaten als Symbol für das Gewehr. (31) (32)
Aufmarsch von 10.000 Männern des Reicharbeitsdienstes auf dem Welfenplatz Hannover. (34)
Auf einen Blick:
Blockwarte kontrollieren die Nachbarn.
Nächtliche Streifen der NSDAP.
Deutsche Arbeitsfront (DAF) überwacht Arbeit und Freizeit.
NS-Frauenschaft: „…dem Führer viele Kinder schenken“.
Arbeitsdienst (RAD) verhindert kritische Haltung junger Erwachsener.