Fahne der Ortsgruppe Hannover 1932. (1)
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Bürger lehnen die Demokratie ab
„Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“ hatte Kaiser Wilhelm II am 31. August 1907 in Münster verkündet. Umso enttäuschter war die gehobene Gesellschaft in den 1920er Jahren
in Hannover: Die kriegsbegeisterten Deutschen hatten den 1. Weltkrieg verloren, das autokratische Kaiserreich verwandelte sich in eine Demokratie. Die bis
dahin herrschende Oberschicht – zum Beispiel der Adel und die Chefs in Verwaltung, Justiz, Hochfinanz, Offizierskorps - verlor Macht und Einfluss an die
vom Volk gewählten Parteien.
Auch das Bürgertum - kleine Handwerker, Händler, Beamte - konnte sich mit den bürgerlichen Freiheiten der Weimarer Republik kaum anfreunden und lehnte die Demokratie ebenfalls
ab. Die Weimarer Republik war eine „Republik ohne Republikaner“.
Den Gegensatz dazu bildeten die unteren Schichten der Arbeiter und kleinen Angestellten – hier hatten die demokratiebewussten und staatstragenden Sozialdemokraten die absolute
Mehrheit - gefolgt von der Kommunistischen Partei, die allerdings eine „Diktatur des Proletariats“ anstrebte. (2)
Früher Antisemitismus
Das Misstrauen aus der Kaiserzeit gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger setzte sich unvermindert fort. 1920 schlossen die Studenten der Technischen Hochschule jüdische Studenten aus der
organisierten Studentenschaft aus. (3)
Hannover - erste NSDAP in Norddeutschland
Nur 9 Männer und 3 Frauen ließen sich am 21. Juli 1921 in Hannover von den antisemitischen und antidemokratischen Hetzreden eines gewissen Herrn Hitler aus Bayern anstecken. Und gründeten
unter Führung des Kaufmanns und Journalisten Bruno
Wenzel und des Tischlers und Ex-Polizisten Gustav Seifert in der "Gastwirtschaft Oelse", Gustav-Adolf-Straße 18, die erste Ortsgruppe der NSDAP außerhalb Bayerns.
Links: Standarte der NSDAP-Ortsgruppe Hannover 29.3. 1922 (4). Rechts: Ortsgruppenführer Gustav Seifert 1926. (5)
1922 stieg die Zahl der „Parteigenossen“ in Hannover auf 230, verkündete stolz der zum Ortsgruppenleiter gewählte Gustav Seifert. Aber noch im selben Jahr - am 17. Nov. 1922 - ließ der hannoversche Oberpräsident Gustav Noske die NSDAP wegen Hitlers Putschversuch in München verbieten und die Ortsgruppe Hannover auflösen. (6)
NSDAP - unbedeutende Splitterpartei
1925: Nach Wiederzulassung der NSDAP im Februar ernannte der Parteiführer Adolf Hitler den ehemaligen Studienrat des hannoverschen Ratsgymnasiums Bernhard Rust zum Gauleiter für Norddeutschland.
Mit dem ehemaligen Major Karl Dincklage, Befehlshaber der SA in Norddeutschland, versuchte Rust, die NSDAP zu einer schlagkräftigen, antirepublikanischen Massenpartei im Gau Süd-
Hannover/ Braunschweig aufzubauen.
Zum Beispiel mit nächtlichen Aktionen gegen Juden: Am 22.7.1927 wurde die Neue Synagoge in der Bergstraße mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert. Im Januar 1928 zogen
hannoversche Nationalsozialisten durch die Straßen der Innenstadt und forderten die Schließung der „jüdischen“ Warenhäuser wie „Karstadt“, „Woolworth“, "Molling" oder „Sternheim und
Emanuel.“ Am 26.1.1929 unterstützte Adolf Hitler die örtliche NSDAP und sprach während einer Kundgebung der NSDAP in der Stadthalle.
All das nützte wenig – die NSDAP blieb unbedeutend. Bei den Reichstagswahlen ab 1924 bis Mai 1928 erreichte die NSDAP in Preußen nicht mehr als 5 % der Stimmen. 1928 stürzte sie in Hannover
sogar auf 2,3 % ab, sie blieb in der Stadt Hannover Splitter-Partei bis 14. 9. 1930.
Links: ->Bernhard Rust, von
1911 bis 1930 Studienrat am Ratsgymnasium, wurde am 1. Oktober 1928 zum Gauleiter des neu gegründeten Gaus Südhannover-Braunschweig ernannt.(7)
Mitte: ->Karl Dincklage,
erfolgreicher Parteiredner der NSDAP, starb 1930. Die Nazis stilisierten ihn danach als "Held der Bewegung". (8)
Rechts: ->Kurt Schmalz, Gauleiter-Stellvertreter von 15. April 1933 bis August 1940.(9) Ein „…gehorsamer … Bürovorsteher, ohne eigene Meinung…. der deutschen Sprache nicht sicher… mit ziemlichen Schnitzern bei Ansprachen ….(10)
Rückenwind für die Nazis in Hannover
Die Weltwirtschaftskrise 1929 brachte großes Elend über die Menschen. Die Arbeitslosigkeit stieg bis 1932 auf fast 5,5 Mio. in Deutschland. In Hannover war jeder Dritte Erwerbstätige ohne
Anstellung. Die knapp bemessene Arbeitslosenunterstützung gab es nur für 6 Monate. Nach 6 Monaten Arbeitslosigkeit bot die Krisenfürsorge und die dann folgende Wohlfahrtsunterstützung
besonders für Familien kaum genug zum Leben. Sozialleistungen wurden abgebaut, Beamtengehälter und –Pensionen gekürzt. (11)
Arbeitslose 1932 vor dem Arbeitsamt am Königsworther Platz. (12)
1932 erhielt weniger als ein Drittel der Arbeitslosen Hilfe aus Arbeitslosenunterstützung. (13)
Bei den Reichstagswahlen Juli 1932 konnten die radikalen Parteien NSDAP und KPD Wählerstimmen gewinnen. Die NSDAP erreichte sensationelle 40,2 %.
Und das ohne Programm – es genügte den Wählern, dass die Nazis das Deutsche Reich als „Juden-Republik“ beschimpften. In einem künftigen „Dritten Reich“ versprach die NSDAP, sollte es
keine „jüdische Verschwörung“ und daher keine Wirtschaftskrise und keine Arbeitslosigkeit mehr geben.
Entwicklung der NSDAP 1924 – 1933.(14)
Hoffen auf den politischen Erlöser
Die meisten Wähler der NSDAP waren mit 46% Angestellte, Beamte, Akademiker, Studenten und Hausfrauen. Gefolgt von Kleingewerbetreibenden und Handwerkern mit fast 40%. Nur 14 % der Arbeiter
wählten die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands.
Beitrittserklärung zur NSDAP (15)
Die größten Propaganda-Erfolge erzielte die NSDAP beim gewerblichen Mittelstand. Denn der traditionelle Einzelhandel fühlte sich von den neu entstandenen Warenhäusern,
Einheitspreisgeschäften und „marxistischen Konsumvereinen“ bedroht.
Das „internationale Judentum“ – so behaupteten die Nazis - führe einen „wirtschaftlichen Vernichtungsfeldzug“ gegen Deutschland und sei für die Krise und den angeblichen Ruin des Handels
verantwortlich. So kam es z.B. bei der Eröffnung des Kaufhauses Woolworth im August 1932 zu Ausschreitungen der SA in der Innenstadt Hannovers. (16)
Osterstraße März 1933: Dem jüdischen Kaufhaus Molling (links) hat ein SA-Sturm die Schaufensterscheiben eingeschlagen. Rechts das jüdische Kaufhaus Sternheim & Emanuel (23)
Die Wähler waren bereit, die antidemokratischen Parolen der Nationalsozialisten zu akzeptieren, wenn sie vermeintliche Auswege aus der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der daraus folgenden Verelendung der Massen versprechen würden.
„Deutscher, kauf … beim deutschen Einzelhandel!“. "...frei von Anzeigen der jüdischen Warenhäuser..."
Anzeige N.T.Z. Januar 1933.(17)
Man suchte Schuldige und fand sie: neben den Juden vor allem Kapitalisten und Marxisten. In erster Linie aber machten die meisten Deutschen die Siegermächte des Ersten
Weltkrieges für die wirtschaftliche Misere verantwortlich, denn die Sieger hatten mit dem Versailler Friedensvertrag Deutschland zu Gebietsabtretungen und hohen Reparationsleistungen gezwungen.
Man fühlte sich gedemütigt. Und hoffte auf einen Erlöser.
In 4 Jahren ist die Arbeitslosigkeit behoben! Wir haben das Wählen satt! Wahl-Plakate der NSDAP in Hannover Februar 1933. (18)
Niedersächsische Tageszeitung, 20. Feb. 1933. (19)
Die kleinen Nazigrößen in Hannover
Das nützten ehrgeizige Parteigenossen der NSDAP in Hannover aus:
->Berthold Karwahne schaffte es ab
1930 als Abgeordneter der NSDAP für die Provinz Hannover in den Reichstag.
->Leopold Gutterer bekleidete ab Mai 1930
als Kreisleiter die Geschäftsstelle Hannover, Königstrasse 50 A, und wirkte gleichzeitig als Gaupropagandaleiter und Schriftleiter des Parteiblattes Niedersächsische Tageszeitung.
Wilhelm Bakemeier überwachte als Kreisleiter Hannover ab 1. Oktober 1932 die ihm unterstellten Ortsgruppen. Die ersten Ortsgruppen gab es 1932 in Döhren, Linden, Kleefeld,
Kirchrode und List. 1933 waren es bereits 22, 1934 schon 32 und 1942 hatte Hannover 59 Ortsgruppen. Jede Ortsgruppe war in Zellen und Blocks unterteilt. Block-, Zellen und
Ortsgruppenleiter lieferten Berichte an die NSDAP-Kreisleitung in der Königstraße 50 A über jeden Nachbarn, jede Nachbarin, gleichgültig ob diese der NSDAP nah oder fern standen.
Adressbuch Hannover: Als Ansprechpartner und um die politische Gesinnung der Nachbarn zu kontrollieren, gab es im Jahr der Machtübernahme 1933 schon 22 Ortsgruppen. Sie deckten Hannover spinnennetzförmig ab. (20)
Kreisverwaltung NSDAP Hannover in der Königstraße 50 A (21)
Führer, Dir gehören wir! Niedersächsische Tageszeitung, 13.August 1934 (22)
Führer, Dir gehören wir!
Am meisten profitierte der Führer der NSDAP. Der wortgewaltige Parteiführer Adolf Hitler reiste durchs Land und versetzte sein Publikum in Begeisterungsstürme. Mit dem Benennen von seiner
Meinung nach Schuldigen am „Unglück Deutschlands“ und mit scheinbar einfachen Lösungen gab er den Massen die erwünschte Hoffnung. Man jubelte ihm nur zu gern zu.
Die Deutschen begannen, Hitler unkritisch zu verehren wie einen Pop-Star. (21)
Auf einen Blick:
Der Mittelstand war unzufrieden mit den wechselnden demokratischen Regierungen in Berlin.
Die hohe Arbeitslosigkeit führte zur Verarmung der Menschen.
Viele sehnten sich nach einem „Erlöser“.
Hitler wurde zum politischen Pop-Star.