Vereidigung 16- bis 17-jähriger Flakhelfer in der Batterie am Nordhafen 1943. Sie sollten die dort vorhandenen großen Wehrmachtsspeicher gegen Fliegerangriffe schützen. Historisches Museum Hannover 061645
Hitler-Jugend sammelt Altmaterial
Der Zweite Weltkrieg fing für die Hitler-Jugend harmlos an. Weil es an kriegswichtigen Rohstoffen fehlte, sammelten Hitler-Jungen und Deutsche Mädel Kleidung und Altmaterialien. Das Fähnlein 4 (ein Fähnlein = vier Jungzüge = ca. 120 Jungen unter 14 Jahren) sang beim Marschieren entlang des Engelboster Damms „Lumpen, Knochen, Eisen und Papier, ausgeschlag‘ne Zähne sammeln wir. Ja, für Hermann Göring sammeln wir Lumpen, Eisen und Papier“ und klingelten an jeder Tür, berichtet Leo Brawand in „Die Leute vom Damme“.
Sicher auf dem Land – fern vom Einfluss der Eltern
Um die Kinder in Großstädten wie Hannover zu schützen, die durch den Luftkrieg besonders gefährdet waren, wurden in der Aktion „Kinderlandverschickung“ (KLV) Kinder in ungefährdete Gebiete
verschickt. Zum Beispiel in den Harz. Die Verschickung geschah klassenweise freiwillig von 1941 – 1943 einschl. Lehrer für 6 – 9 Monate . Kosten entstanden nicht. Der Schulunterricht vor
Ort beschränkte sich auf 4 Stunden am Tag mit 20 Minuten langen Pausen. Der
Besuch der Eltern wurde nicht gern gesehen: Dies erzeuge Heimweh und belaste die Verkehrswege. Die Nazis erhofften sich eine Beruhigung der Bevölkerung und gleichzeitig durch die Trennung vom Elternhaus eine noch stärkere politische Beeinflussung der Jugend. Insgesamt nahmen reichsweit 2,5 Mio. Kinder in 2000 Lagern an der Kinderlandverschickung teil.
Flucht vor dem Bombenkrieg ab 1941: „Die 10 – 14jährigen Jungen der Mittelschule 3 am Lindener Berg lebten z. B. in St. Andreasberg im Harz
in Hotels und Pensionen. Die Bismarckschule brachte ihre Schüler bei Familien in Clausthal-Zellerfeld unter, die Sophienschule in Hasselfelde am Brocken.“ Aus
„Dokumentations-Arbeitsgemeinschaft KLV e.V.“
Plakat Kinderlandverschickung von 1943: Historisches Museum Hannover, 13209
Schon für 10Jährige in der Hitler-Jugend: Verpflichtung zum Ernteeinsatz
Die Ernährung der Bevölkerung verschlechterte sich. Am 20. April 1942 befahl der Jugendführer des Deutschen Reiches Sauckel: Alle 5. und 6. Klassen der mittleren und höheren
Jungenschulen und alle Schülerinnen ab 7. Klasse der höheren Mädchenschulen zum Ernteeinsatz vom 5. April bis 15. November. Je nach Lage konnten in dieser Zeit die Schulen geschlossen
werden.
Volksschüler und Volksschülerinnen vom 10. Lebensjahr und die Klassen 5 und 6 der mittleren und höheren Mädchenschulen sollten ortsnah auf dem Land mit leichten Arbeiten wie Unkraut
jäten, Fallobst sammeln, Kartoffeln lesen beschäftigt werden. (Amtliches Nachrichtenblatt des Jugendführers der Deutschen Jugend 1942)
„Diese Jugend … wird nicht mehr frei ihr ganzes Leben und sie sind glücklich dabei“. (Höre die Original-Rede Hitlers vor HJ-Angehörigen in Reichenberg
1938:
https://www.dubistanders.de/Sophie-Scholl/Diese-Einstellung-hatte-Hitler-zur-Hitler-Jugend, aufgerufen 18.10.2019
Foto: Niedersächsisches Landesarchiv, 2495
16- und 17Jährige in der Hitler-Jugend ersetzen Soldaten
Hartmann Lauterbacher, Stellvertretender Reichsjugendführer und späterer Gauleiter von Hannover, befahl eine Dienstpflicht für alle 17-18jährigen Jungen. In einer vierwöchigen
Grundausbildung wurden die Jahrgänge 1926 und 1927 an Flugabwehrkanonen (Flak) ausgebildet.
Am 15. Februar 1943 bezogen 693 Schüler der Jahrgänge 1926 und 1927 – also die 16- und 17-Jährigen - in den in und um Hannover gelegenen Batterien der Flakbrigade XV als Flakhelfer
Stellung. 100 dieser Jungen hatten jeweils 70 Soldaten zu ersetzen. 13 Schüler der Bismarckschule und der Humboldtschule starben bei einem
Luftangriff auf eine Flakbatterie in Langenhagen vom 27. auf den 28. 9. 1943. https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-Archive/Stadtarchiv-Hannover/Service/Stadtchronik-Hannover-online (zuletzt aufgerufen:
18.10.2019)
10 – 14jährige „Pimpfe“ arbeiteten als Melder beim Luftschutz oder der Feuerwehr. Nach Angriffen halfen Hitler-Jungen ausgebombten Familien, Nahrung und Unterkunft zu finden. Auf
Schlaf und auf die Schule musste immer häufiger verzichtet werden.
Mädchen im BDM leisteten Kriegshilfe als Sanitäterinnen im Roten Kreuz, in Krankenhäusern und in der Ernte. Darüber hinaus wurden sie zu
Ausbesserungen von Uniformen aus Lazaretten, zur Betreuung von Soldatengräbern und zur Unterhaltung von Fronturlaubern in geselligen Nachmittagen und Tanzveranstaltungen
herangezogen. Die Sexualmoral lockerte sich: Der Volksmund übersetzte BDM deshalb bald in „Bubi, drück mich“. https://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Deutscher_M%C3%A4del
Hitler-Jugend: Die letzte „Blutreserve“
Weil immer mehr Soldaten fielen, sahen SS und Wehrmacht in der Hitler-Jugend geeigneten Ersatz. Von der SS wurde häufig rücksichtsloser Druck
ausgeübt: wer nicht beitrete, sei ein Verräter und werde bestraft. Am 10. Februar 1943 befahl der Reichsführer SS Heinrich Himmler die Aufstellung der „12. SS-Panzer-Division Hitler-Jugend“ und besetze sie nahezu ausschließlich mit 17Jährigen . Von 20540 Hitler-Jungen kamen 8626 im Kampf gegen die Invasion der Alliierten in der Normandie ums Leben. *„Die Jungen haben noch nicht leben gelernt – aber weiß Gott, sie verstehen zu sterben“, sagte ihr General Kurt Meyer. (Susan Campell Bartoletti: Jugend im Nationalsozialismus, Berlin-Verlag GmbH, S. 184).
Hannoversche Pimpfe beim geländesportlichen Lehrgang auf dem Truppenübungsplatz Bergen. "Kriegsmäßig" wurde der Feind angeschlichen, wurden Spähtrupps ausgeschickt, wurde gemeldet und gut getarnt vorgegangen. SS und Wehrmacht konkurrierten um die 16- und 17jährigen Hitler-Jungen, um den großen Verlust an Menschenleben auszugleichen. Niedersächsische Tageszeitung, 1.2/April 1939. Stadtarchiv Hannover, NR 103 Presseamt
Text unterhalb des Hitler-Jungen-Portraits: "Die 16-jährigen leisten als Luftwaffenhelfer der Hitler-Jugend wichtigsten Kriegseinsatz."
Der Elternbrief der Kinderlandverschickung im November 1944 informierte Eltern über Einsätze der Hitler-Jugend: Als Fronthelfer hoben Jungen und Mädchen an den
Grenzen Gräben und Stellungen aus. 70 % der Jungen des Jahrgangs 1928 hatten sich - so meldete Reichsjugendführer Axman dem Führer - als Kriegsfreiwillige gemeldet. „...eine Meldung,
die des Führers Augen leuchten ließ...".
Niedersächsisches Landesarchiv
Als letzte „Blutreserve“ ließ Hitler 1944 die 16- bis 18-Jährigen zum Volkssturm einziehen. Schlecht bewaffnet und schlecht ausgebildet sollten sie im Häuserkampf das
Vordringen der Russen und Amerikaner stoppen.
Am 10. April 1945 besetzte die 84. US-Infanterie Hannover. Der Krieg in Hannover war vorbei. Nahezu 30.000 Einwohner Hannovers hatten ihr Leben verloren. Fast die Hälfte der Wohngebäude und
der öffentlichen Gebäude waren zerstört. https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-Archive/Stadtarchiv-Hannover/Service/Stadtchronik-Hannover-online
Hitler-Jugend und BDM wurden mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 der Allierten verboten.
Und dennoch gab es Unbelehrbare: sie hofften auf die Hitler-Jugend, die als „Werwölfe“ im Untergrund Widerstand gegen die amerikanische und englische Besatzung leisten könnten. Es kam nicht
dazu.
Allerdings: die ewig Gestrigen, die offenbar nichts aus den Verbrechen der NS-Zeit gelernt haben, gibt es immer noch und leider schon wieder.
Eine der letzten Aufnahmen von Adolf Hitler vom 20. April 1945, seinem Geburtstag, zeigt ihn bei der Auszeichnung von Mitgliedern der Berliner Hitler-Jugend, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Volkssturmeinheiten zusammengefasst wurden. Niedersächsisches Landesarchiv, ha_bigs_nr._13464
10.4. 1945: die 84. US-Infanterie-Division besetzt Hannover. Der Krieg ist aus. Kinder laufen aus einem geplünderten Lebensmittel-Geschäft. Historisches Museum Hannover 009132
1:12 Minuten.
Letzte Reserve der Nazis: Schüler in die Waffen-SS. Zeitzeuge Friedrich Grimm aus der Arbeiter-Jugend St. Benno in Linden sollte als 16-jähriger Hitler-Junge gezwungen werden, in die Waffen-SS einzutreten. Er erzählt, wie es ihm gelang zu entwischen.
2:50 Minuten.
Hitler-Jungen als Werwölfe hinter der Front.
Der damals 16-jährige Horst Bohne sollte die Front der Amerikaner von hinten angreifen....
Wissen + Verstehen = Anwenden
Lesezeit: 45 Sekunden
Nach der verlorenen Schlacht bei Stalingrad 1942/1943 wurde aus dem harmlosen „Krieg spielen“ im Gelände Ernst für die Hitler-Jugend. Im Bombenkrieg der Städte löschten 10 –
16jährige Feuer, bargen Leichen aus den Bombentrichtern und – als wäre es immer noch ein faszinierendes Spiel – sammelten Bombensplitter.
Die überwiegende Mehrheit fügte sich in die neuen Aufgaben als Flakhelfer und als Soldat im Volkssturm.
Im Gegenteil: Vom Nazi-Regime geblendet warfen sich 17jährige Angehörige der Waffen-SS in die Schlacht, wenn sich erfahrene Soldaten längst
zurückgezogen hatten, und sie ermordeten brutal unbewaffnete Kriegsgefangene. Heute fragen wir uns: Warum konnten sich Jungen und Mädchen kritiklos der menschenverachtenden
Idee des Nationalsozialismus unterwerfen? Und dafür das eigene Leben einsetzen?
Eine Antwort könnte sein: der Appell an das falsche Gefühl der Masse war stärker als die Vernunft der Einzelnen.
Deine Meinung: wie hättest Du Dich damals verhalten?
Was könntest Du in Deinem persönlichen Umfeld dazu beitragen, damit es auch künftig keine Diktatur in Deutschland gibt?