November-Pogrom 1938 – die Synagoge in der Bergstraße steht in Flammen

Die neue Synagoge in der Bergstrasse wurde von Edwin Oppler 1870 fertiggestellt. Quelle: Sammlung Werner Heine

Am 10. November 1938 gegen 1.30 Uhr brannte die Synagoge. Fotografiert von Wilhelm Hauschild vom Turm der Neustädter Kirche.
Quelle: HAZ-Hauschild-Archiv Historisches Museum Hannover.


Gedenkstelle Neue Synagoge Rote Reihe 6.

SS-Männer  brannten die Neue Synagoge  am 9./10.November 1938 nieder,  die Ruinen  wurden 1939 abgeräumt und ein Tiefbunker auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge gebaut. Die Gedenkstelle befindet sich in Rote Reihe 6. Foto: Privat, Karte: openstreetmap

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Pogrom-Nacht in Hannover


 Am 7. November 1938 erschoss der 17-jährige Hannoveraner Herschel (Hermann) Feibel Grynszpan in Paris den Botschaftssekretär Ernst vom Rath.  Die Motive - die Abschiebung von 17000 polnischen Juden ins polnisch/deutsche Niemandsland, unter ihnen auch die  Familie des jungen Herschel, oder eine Beziehungstat aufgrund eines homosexuellen Verhältnisses  zwischen vom Rath und Grynspan - sind nicht eindeutig geklärt. https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Eduard_vom_Rath

Die Nachricht vom Attentat  bot den Nationalsozialisten - sie feierten gerade den Jahrestag des Hitlerputsches von 1923 in München - die Gelegenheit, eine reichsweite „spontane“ Aktion des Volkszorns gegen die Juden auszulösen. Der erwünschte „Volkszorn“ der  deutschen Bevölkerung blieb aus.  Daher führten SA und  SS den Pogrom weitgehend allein aus.
Die am 10. November kurz nach Mitternacht von SS-Männern angezündete Neue Synagoge  in der Bergstraße  brannte unter Bewachung von SS und Polizei im Laufe des Tages  vollständig ab. Die gelöschten Ruinen wurden anschließend gesprengt.
Gleichzeitig demolierten Trupps von SS und SA in Hannover 94 Geschäfte jüdischer Inhaber: Die Scheiben wurden eingeschlagen,  Waren zerstört, geplündert oder „sichergestellt“. In 27 Wohnungen jüdischer Eigentümer oder Mieter schlugen Nazis Möbel, Geschirr, Haushaltsartikel und Kunstgegenstände kurz und klein.

26000 bis 30000 möglichst vermögende Juden zu  verhaften und in Konzentrationslager einzuliefern, so lautete der Befehl vom Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler. In Hannover und im Umland wurden am 10. November über 333 jüdische Männer und eine Frau aus ihren Wohnungen und Geschäften geholt und zunächst ins überfüllte Polizeigefängnis gebracht. Am nächsten Tag wurden 275 Verhaftete in das KZ Buchenwald transportiert, gequält, körperlich und seelisch gebrochen.

Die meisten Inhaftierten fügten sich dem Zwang, auszuwandern und ihren Besitz „arisieren“ zu lassen. Als „Sühneleistung“ wegen des Attentats mussten die Juden in Deutschland eine Milliarde Reichsmark an den nationalsozialistischen Staat zahlen. Im Frühjahr 1939 gab es fast kein jüdisches Eigentum mehr in Hannover. Juden durften kein Geschäft mehr führen, jüdische Familien vearmten. Die Flucht aus Deutschland - soweit sie noch möglich war -  erreichte ihren Höhepunkt.

Zeitzeuge berichtet:

Karl Zahn, Prokurist bei Sternheim & Emanuel, berichtet über die Erzählung von Louis Sternheim, 1938 Inhaber Kaufhaus für Manufaktur- und Modewaren Sternheim & Emanuel, Große Packhofstrasse 39-42; Osterstrasse 98 - 103:

 

„Gegen 10.00 Uhr sei ein Trupp von etwa 10 SS-Leuten erschienen und habe Einlass verlangt und die Wohnung völlig durchsucht und demoliert.  Sternheim berichtete mir, der Anführer des Trupps sei der Uhrenkaufmann Richard Sander gewesen. (....) Die SS unter Führung von Sander habe die Familie Sternheim und Munter mit dem Personal in der Küche eingeschlossen und anschließend die Durchsuchung des Hauses vorgenommen. Während der Zerstörungen hätte einer der Leute auf dem Flügel gespielt, den sie zum Schluss auch noch mit Beilen zerschlagen hätten."

 

Ich habe mir das Haus selbst angesehen und dabei festgestellt, dass die Möbel, die Badewannen, Toiletten, Treppenhaus, Betten, usw. restlos zertrümmert waren. Sternheim erzählte, dass die SS zum Schluss in Teppiche und Brücken Silber und Schmuck eingewickelt und weggeschleppt hätte. Dem draußen vor dem Haus versammeltem Publikum wurde erzählt, da könnt ihr sehen, die Juden haben Waffen bei sich versteckt. Der Schwiegersohn von Herrn Sternheim, Dr. Karl Munter, ...., beziffert den Wert des vernichteten Mobiliars auf etwa 235.000 RM…


Herschel Grynszpan kurz nach seiner Verhaftung am 7. November 1938 durch die  französische Polizei.

Bundesarchiv, Bild 146-1988-078-08 / CC-BY-SA 3.0


Die Ruine der Synagoge an der Bergstraße wird von Tausenden Gaffern besichtigt. Für die drangsalierten jüdischen Menschen in Hannover regt sich keine Hand.

Historisches Museum 007767

Hermann Göring fordert von allen Juden in Deutschland 1 Milliarde Reichsmark als Sühneleistung für das Attentat auf vom Rath. Hannoversches Tageblatt 13. Nov. 1938, Stadtbibliothek Hannover

"120 jüdische Geschäfte verschwunden oder arisiert." Hannoversches Tageblatt, 19. Januar 1939. Stadtbibliothek Hannover


Von den 333 verhafteten jüdischen Männern wurden 275 am Morgen des 11. November 1938 aus dem Polizeigefängnis und der Turnhalle der ehemaligen Kriegsschule nach Buchenwald transportiert. Es begann „die Hölle auf Erden“. Die Häftlinge wurden ständig geschlagen und  mussten oft stundenlang auf dem Appellplatz stehen. Foto: November 1938. Aus dem Photo-Album des letzten Kommandanten des KZs Buchenwald Karl Otto Koch. Internationaler Gerichtshof Den Haag. 



Ausgeplündert, geschlagen, vertrieben, ermordet

 

Gaffer vor dem zerstörten Galanteriewarengeschäft Adolf Salberg, Georgstraße 15. Unter dem Mob befand sich auch Carl Göbelhoff. Ab 1940 hießt das Ladenlokal Hutgeschäft Carl Göbelhoff.  Der Inhaber wurde wegen Beteiligung an den Demolierungen  1948 mit 18 Monaten Gefängnis bestraft.

Archiv der Region Hannover

 

 

Trotz Fotografierverbots  gelang dieser Schnappschuss aus dem fahrenden Auto: Vor dem geplünderten  Konfektionsgeschäfts der  Gebr. Hirschfeld in der Karmarschstraße 9-11 sammeln sich die Gaffer. Ab 1939 ging das Geschäft  im Rahmen der „Arisierung“ in den Besitz der Firma Heutelbeck über.

Sammlung Werner Heine

 

Kaufhaus Sternheim & Emanuel an der Ecke  Große Packhof- /Osterstraße. Die SS verwüstete die Privatwohnung der Sternheims in der Pogromnacht. Nach der "Arisierung" 1938 durch die hannoversche Stadtverwaltung wurde das Kaufhaus Sternheim & Emanuel unter dem Namen Kaufhaus Magis geführt.
Historisches Museum Hannover, 002834

Das jüdische Textilgeschäft „Texta“ wude  nach wenigen Tagen von Weipert erfolgreich „arisiert“. Niedersächsische Tageszeitung, 25. November 1938.

 



Opfer des Nazi-Terrors: die geschändete Trauerhalle auf dem Jüdischen Friedhof Hannover-Bothfeld


Keine 10 Jahre alt war die von Werner Koech entworfene Trauerhalle auf dem jüdischen Friedhof in Bothfeld. Der 1929 fertiggestellte Rundbau mit Seitenräumen für die Totenwache wurde in der Pogrom-Nacht vom 9. auf den 10. November von SA-Trupps und fanatischen Parteigenossen gestürmt, Fenster und Türen eingeschlagen, die Innenräume verwüstet und der Kuppelbau in  Brand gesteckt.

 

Trauerhalle auf dem Jüdischen Friedhof in Bothfeld, Burgwedeler Straße 90.  Fotos von 1929.

Quelle: Bild-Kurier, Wochenbeilage zum Hannoverschen Kurier, 30.Juni 1929. Stadtbibliothek Hannover

Vorhalle zur Friedhofskapelle.

Blick auf die Oberlichtfenster des Kuppelbaus.

Die Stadtverwaltung erwog, das schwer beschädigte Gebäude als Getreidespeicher zu nutzen, entschied sich dann, den geschändeten jüdischen Friedhof aufzulösen und die Trauerhalle abzureißen. 1941 wurde der jüdische Friedhof Bothfeld zum Stadteigentum erklärt.

1959 erwarb die damalige jüdische Nachkriegsgemeinde den Friedhof und ließ bis 1960 an der Straßenfront eine neue Trauerhalle errichten.

Polizeibericht vom 10.11.1938

Quelle: Nieders. Landesarchiv Hannover, Hann.87 Hannover Nr. 258, Blatt 3

 

Bericht des Polizeipräsidenten von Hannover Waldemar Geyer an dem Regierungspräsidenten Rudolf Diels über den Zustand der Jüdischen Friedhofskapelle vom 23. 12. 1938
Quelle:Nieders. Landesarchiv Hannover, Hann. 87 Hannover Nr. 258, Blatt 3



Neuer Film:

Nazi-Pogrom 1938 in Hannover und Umgebung. Wie Hitler mit der "Reichskristall-Nacht" das Signal zum Völkermord gab.

Hitler suchte nach einem Anlaß, seinem Hass gegen die Juden freien Lauf zu lassen. Das Attentat des 17-jährigen Herschel Grynszpan aus Hannover auf Legationssekretär und SA-Mitglied Ernst vom Rath in Paris kam ihm wie gerufen.

 

In der Nacht auf vom 9. auf den 10. November 1938 plünderten Männer der SS und der SA in Hannover und Umgebung jüdische Geschäfte verwüsteten jüdische Wohnungen, raubten Synagogen aus und brannten sie nieder.

Wohlhabende jüdische Männer aus Hannover und Umgebung verhafteten die Nazis, folterten sie im KZ Buchenwald und zwangen sie, Vermögenswerte für ein Handgeld den Nazis zu überlassen.

Jüdische Kinder durften öffentliche Schulen nicht mehr besuchen, Erwachsene ihre Berufe nicht mehr ausüben. Ab Dezember 1941 wurden die noch in Hannover lebenden Juden vom Bahnhof Fischerhof in Linden in Ghettos und Konzentrationslager in Riga, Theresienstadt, Warschau und Auschwitz deportiert.



 

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Wissen + Verstehen = Anwenden:
Die Brandstiftungen und Terroraktionen der Pogromnacht liefen in aller Öffentlichkeit ab und erregten großes Aufsehen, aber die hannoverschen Tageszeitungen berichteten nur knapp.

Die Bevölkerung verhielt sich überwiegend passiv und stand den Ausschreitungen eher kritisch gegenüber – dies jedoch weniger aus Mitgefühl für die Juden, sondern aus Unmut über die Zerstörung von Sachwerten (!).
In vielen Städten wurden Hitlerjungen und Mitglieder des „Bundes Deutscher Mädchen“ aufgefordert, verhaftete Juden zu beschimpfen und zu bespucken. Niemand hielt sie zurück.

Die Pogromnacht diente dazu, die Menschen mit Falschnachrichten aufzustacheln und die bisher passive Bevölkerung auf die Ausraubung, völlige Entrechtung und spätere Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa vorzubereiten.
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Die darauf einsetzende Gefühllosigkeit der Bevölkerung – insbesondere der Mitglieder der kommunalen Verwaltungen - gegenüber den jüdischen Mitbürgern äußerte sich später auch in Denunziationen und in der hemmungslosen Teilnahme an der Versteigerung des Hausrats deportierter jüdischer Familien.

Der Begriff ''Reichskristallnacht'' bezieht sich auf die überall verstreuten Glasscherben vor den zerstörten Wohnungen, Läden und Büros, Synagogen und öffentlichen jüdischen Einrichtungen. Der Begriff Reichspogromnacht (oder auch Pogromnacht bzw. Novemberpogrom) hat sich erst in jüngster Zeit verbreitet und im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt, um das belastete Wort "Reichskristallnacht" zu ersetzen. (Zitat: Landeszentrale für politische Bildung in Württemberg.)


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